Die Lager im Kommunismus

Im Archiv des Innenministeriums/Staatssicherheit sind Dokumente erhalten über die Existenz einer geheimen Anstalt zur Festnahme von Personen durch die Staatssicherheit bei Pazardzhik, die als Lager „S“ (= secret) gekennzeichnet ist. Das Lager funktionierte in den Jahre 1947 – 1949 und wurde für die Anwerbung von Vertretern der Minderheiten für den Abwehrdienst der Staatssicherheit; kurz nach dessen Errichtung wurden dort jedoch alle möglichen Gruppen eingewiesen. Im Lager „S“ waren mehrere Tausend Menschen inhaftiert, Dutzende haben da ihren Tod gefunden. Nach der Schließung des Lagers „S“ wurde der größere Teil der Häftlinge ins Arbeits- und Umerziehungsheim „Belene“ überführt; sechs Mitglieder der „VMRO“ [Innere Makedonischen Revolutionären Organisation], die im Lager überlebt hatten, wurden ohne gerichtliche Verurteilung unter lebenslangem Arrest gestellt, mit der Begründung, dass sie Zeugen der Ermordungen im Lager geworden waren.
Auf Grund einer vertraulichen Verfügung der Regierung von Vasil Kolarov wurde 1949 auf der Donauinsel Persin in der Nähe des damaligen Dorfes Belene das Arbeits- und Umerziehungsheim errichtet, das zum größten Lager für politische Häftlinge wurde. Nach seiner Errichtung wurden alle politischen Gegner der Kommunistischen Partei dort versammelt. Einem streng vertraulichen Schreiben des Innenministers aus dem Jahr 1952 (erster Sekretär der BKP und Ministerpräsident war Valko Tshervenkov) ist zu entnehmen, dass sich zu diesem Zeitpunkt im Lager 2323 Personen aufhielten, davon 2248 Männer und 75 Frauen. 1732 Personen waren wegen „konterrevolutionärer Tätigkeit“ inhaftiert, 181 wegen kriminellerer Taten. Nach Stalins Tod im Jahr 1953 wurde der größere Teil der politischen Häftlinge freigelassen.
Der Anfang des Entstalinisierungsprozesses in Bulgarien zwang die höchste Parteiführung im September die Einweisung politischer Gegner ins AUH „Belene“ einzustellen. Der Prozess stellte sich aber als nicht sehr stabil heraus, denn 1956, nach den Ereignissen in Ungarn, wurde das Lager wieder aktiv genutzt, denn das kommunistische Regime befürchtete, dass das bulgarische Volk dem Vorbild der ungarischen Gesellschaft folgen könnte. Zu diesem Zeitpunkt war in Bulgarien schon Todor Zhivkov als erster Sekretär der BKP gewählt worden. Die gesellschaftlichen Prozesse in Bulgarien waren zwar weit entfernt vom Volksaufstand in Ungarn, doch unter der Leitung von Todor Zhivkov beschloss das Politbüro des ZK der BKP, alle gesellschaftlich gefährlichen Personen der Hauptstadt auszusiedeln. In einem geheimen Protokoll „B“, Nr. 9, vom 17.11.1956 steht folgendes: „Einzuweisen in das AUH „Belene“ sind die gefährlichsten für die Ordnung und die Sicherheit Elemente, die ihren Wohnsitz in Sofia und anderen Großstädten des Landes haben“. Aus den Archivdokumenten geht jedoch hervor, dass im November 1956 die zahlreichsten in Belene Eingewiesenen arme und vermögende Bauern waren, die sich gegen die zwangsweise Kollektivierung gewehrt hatten.
Die Einweisung in AUHs einer anderen Kategorie wird von Zhivkov selbst dokumentiert. Auf Grund seines Vorschlags wurde vom Politbüro ein Beschluss über die verstärkte Bekämpfung des Rowdytums gefasst. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Partei zwar die Miliz, die Staatsanwaltschaft und die Justiz unter Kontrolle, doch es war nicht üblich, dass Rowdytum gerichtlich verfolgt wurde und die Verhaftungen auf Grund von Rechtssprüchen erfolgten. Stattdessen hatte man dem Innenministerium/Staatssicherheit die Befugnis übertragen, die Schuldigen zu Zwangsarbeit zu „schicken“. Die parteiliche Stellungnahme lautet folgendesmaßen: „Zwecks Verstärkung der Bekämpfung immer häufiger werdender Erscheinungen von Rowdytum hält es das Politbüro für zweckmäßig, Genossen Georgi Tsankov (Minister der inneren Angelegenheiten) mit der Organisation der Umerziehung durch Zwangsarbeit von ausgesprochenen und schädlichen für die gesellschaftliche Ordnung Elementen (Rowdys, Diebe, Rückfalltäter und andere sittlich verkommener Personen) zu beauftragen.“
Die Politik der Aussiedlung und Einweisung aus politischen Gründen, die von der neuen Führung der BKP fortgesetzt wurde, stoß auf heftige Kritik im Westen und hatte eine ausgesprochen negative Einwirkung auf das außenpolitische Image der kommunistischen Regierung Bulgariens. Der Ministerpräsident Anton Yugov hatte vor westlichen Journalisten öffentlich erklärt, im Lande existierten keine Lager mehr, so dass sich das Politbüro im August 1959 gezwungen sah, das Lager Belene zu schließen. Befreit wurden alle politischen und ca. 1000 kriminelle Häftlinge. Inhaftiert blieben 166 Personen, die von den Machthabenden als „unverbesserliche Rückfalltäter“ eingeschätzt wurden. Der Innenminister Georgi Tsankov schlug dem Politbüro unter der Leitung von Todor Zhivkov den Beschluss zu fassen, dass „es für die bessere und effektivere Bekämpfung der kriminellen Rückfalltäter und Rowdys zweckmäßig sei, in einzelnen Fällen bei Personen, die nach genauer Einschätzung als gesellschaftlich unzulässig bestimmt werden wegen zahlreicher Ruhestörungen ihrerseits, diese Personen zu Zwangsarbeit in bestimmte Steinbrüche oder ähnliche Objekte zu schicken.“ Mit den erwähnten 166 Personen wurde das Lager bei Lovetsh gegründet, das „Arbeitsgruppe Lovetsh“ benannt wurde und als Filiale des AUH Belene galt mit 7 Offizieren und 83 Feldwebeln Bewachung und Aufseher. Die Errichtung des Lagers erfolgte mit dem Wissen und der Zustimmung von Todor Zhivkov nach einem Gespräch mit dem Innenminister Georgi Tsankov. Als 1962 im Politbüro entschieden werden sollte, wer die Verantwortung für die Morde im Lager trägt, erklärte Georgi Tsankov vor den Mitgliedern der höchsten Parteiführung, dass 1959 Todor Zhivkov über die Errichtung des neuen Lagers informiert worden war:
„1959 haben wir die Situation im Lande besprochen und sind zu der Schlussfolgerung gekommen, dass das Lager in Belene nicht länger aufrechtzuerhalten war. Wir haben mit dem Genossen Zhivkov darüber gesprochen, ob es nicht sinnvoll wäre, dieses Lager zu schließen. Wenn es Unverbesserliche gibt, sollten sie ins Gefängnis kommen.“Belene“ war für eine kompliziertere Zeit bestimmt gewesen. Es ging um 500 bis 600 Personen – was sollte man mit ihnen machen? Sollte man sie freilassen und dann wieder verfolgen und irgendwo isolieren? Dann beschlossen wir, einen Steinbruch bei Lovetsh zu benutzen und dort diese Menschen unterzubringen, wo sie durch schwere körperliche Arbeit umerzogen werden sollten.“
Im Lager bei Lovetsh, das unter dem Namen „Slantshev bryag“ [Sonnenstrand] bekannt wurde, eine grausame Anspielung an den gleichnamigen Badeort an der Schwarzmeerküste, wurde ein außerordentlich schweres, an Sadismus grenzendes Regime eingeführt. „Wir wurden geschlagen wie Tiere, wir wurden gefüttert wie Tiere, wir mussten arbeiten wie Tiere“, bezeugte nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes in Bulgarien der ehemalige Lagerhäftling Lozan Lozanov. Verantwortlich für das Lager war der stellvertretende Innenminister, General Mirtsho Spasov, der von Todor Zhivkov gefördert wurde und einer seiner nächsten Mitarbeiter im Innenministerium war. Schriftliche Verfügungen über das Regime im Lager wurden nicht erlassen, es funktionierte nach mündlichen Anweisungen von Spasov.
In seinen Aussagen vor der Militäranwaltschaft 1990 erklärte Tsvyatko Goranov, der Vorsteher eines Objekts im Lager: „Bei der Eröffnung der „Arbeitsgruppe Lovetsh“ bekamen wir eine mündliche Anordnung von Mirtsho Spasov, dass von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gearbeitet werden muss. Pause nur zu Mittag! Sie hatten sich zu Tode zu arbeiten!“
Mirtsho Spasov selbst gestand 1990 vor der Militäranwaltschaft: „Die Existenz des Lagers bei Lovetsh war dem Politbüro des ZK der BKP und den Partei- und Führungskader im Land sehr gut bekannt. Alle, Todor Zhivkov inbegriffen, wussten, dass im Lager ein sehr strenges Regime herrschte, man kann wohl sagen ein grausames. Die Anweisungen für dieses Regime kamen von der Leitung des Innenministeriums und vom Politbüro.“
Ins Lager wurden jedoch nicht nur Personen mit kriminellen Taten eingewiesen, sondern auch verschiedene Gegner der kommunistischen Macht aus allen Teilen Bulgariens – ehemalige Abgeordnete des Bauernbundes, Intellektuelle, Händler, Bauern, Gegner der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. 1961 wurde die Frauenabteilung des Lagers in den Steinbruch in Skravena bei Botevgrad überführt. Innerhalb von drei Jahren kamen ins Lager bei Lovetsh 1500 Personen, 151 von ihnen fanden dort ihren Tod. Die Leichen wurden nicht ihren Angehörigen übergeben, sondern nach Belene transportiert, das in ein Gefängnis verwandelt worden war; dort wurden sie von Häftlingen auf einer der Inseln begraben.
Im Frühjahr 1962 wurden das Lager „Sonnenstrand“ und die Frauenfiliale bei Skravena unerwartet geschlossen, da die Gerüchte über die Ermordungen in diesen Lagern das ZK der BKP erreicht hatten.
Gatyu Gatev, der stellevertretende Direktor der Kriminalmiliz zu diesem Zeitpunkt, erzählte nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes: „Es wurde festgestellt, dass im Lager Menschen ohne gerichtliche Verurteilung getötet werden, nach mittelalterlichen Methoden. Kapitanov (Dimitar Kapitanov, Direktor der Kriminalmiliz) und ich, wir beschlossen die Unterlagen im ZK der BKP abzugeben.“ Nachdem Mirtsho Spasov davon erfahren hatte, drohte er ihnen mit Kündigung. Gatev erzählte: „Mirtsho Spasov ließ uns, mich und Kapitanov, zu sich kommen und beschimpfte uns aufs Vulgärste. Er und der Vizeinnenmister Grigor Shopov beschuldigten uns heftig. Sie warfen uns vor, dass wir die höhere Leitung ignoriert, gegen die Disziplin verstoßen hätten, drohten und warnten uns. Demonstrativ verließen wir sein Zimmer.“ Gatev fügt dann hinzu: „Vom Leiter der Abteilung „Einweisung und Aussiedlung“ bei der Staatssicherheit, General Ivan Tshukov, habe ich nachträglich erfahren, wie Spassov am Innenministerium bleiben konnte; Todor Zhivkov soll ihn gefragt haben, wieso es dazu kommen konnte und wer ihm die Anordnungen gegeben habe, worauf Spassov geantwortet haben soll: Sie, Genosse Zhivkov, haben mir die Anordnung gegeben, erinnern Sie sich nicht, als ich Ihnen berichtet habe, was für Personen in die Lager geschickt werden, haben Sie gesagt: Richtig, weg mit ihnen, mit diesen Rowdys!“
Das Politbüro des ZK der BKP entsandte nach Lovetsh eine Sonderkommission, die alle Grausamkeiten und Ermordungen im Lager bestätigte. Die Feststellungen der Kommission wurden aber nur vor dem Politbüro vorgetragen und nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Während der Sitzung des Politbüro, als die Verbrechen im Lager besprochen wurden, erklärte Todor Zhivkov:
„Das ist ein ungeheuerlich lästiger Fall. Solche Fälle dürfen in Zukunft nicht zulassen. Wir haben mit unserem Beschluss damals die Grundlagen für diese Taten geschaffen. Wir waren damals etwas zu eifrig. Unser Beschluss sollte nur veranlassen, dass diese Personen dorthin kommen um zu arbeiten. Jetzt sind keine Lagermehr notwendig. In Zukunft müssen wir Anstalten dieser Art beseitigen. Wenn jemand ein Rowdy ist, soll er vor Gericht kommen. Er ist zu beseitigen. Ohne viel Aufhebens!“
Er nutzte die Gelegenheit, um den Innenminister, General Georgi Tsankov, zu entlassen, nicht jedoch den direkten Verantwortlichen für das Lager, General Mirtsho Spassov.Über ihn sagte er vor dem Politbüro: „Mirtsho muss an eine andere Stelle versetzt werden, Wir müssen schauen wohin. Er ist ein disziplinierter Mensch. Dieser Fall hat ihn gebrochen. Ich habe sehr streng mit ihm geredet, habe ihn gefragt: Wist du wahnsinnig, so etwas zuzulassen? Er ist ein kostbarer Mensch, sehr treu, aber manchmal zu ungehalten. Wir wollen ihm eine parteiliche Strafe auferlegen.“
Nach dieser „Strafe“ avancierte Mirtsho Spasov zum Leiter der Abteilung „Auslandskader“ im ZK der BKP.
Nach dem Beginn des sog. „Wiedergeburtsprozesses“ 1985 wurden im ehemaligen Zweiten Objekt des Lagers „Belene“ auf der Insel Persin ohne gerichtliche Verurteilung mindestens 500 Personen der türkischen Minderheit isoliert, die sich gegen die zwangsweisen Bulgarisierung gewehrt hatten, die vom kommunistischen Regime unter der Leitungvon Todor Zhivkov durchgeführt wurde. Im nachfolgenden Jahr wurden sie in verschiedene Teile des Landes angesiedelt.
* Die in diesem Text angeführten Tatsachen stammen aus den offiziellen Unterlagen des Prozesses Nr.10/1990 der Militäranwaltschaft über die Verbrechen im Lager bei Lovetsh. Sie wurden zum ersten Mal vom Journalisten Hristo Hristov veröffentlicht „Sekretnoto delo za lagerite“ [Der geheime Prozess über die Lager], Verlag „Ivan Vazov“ 1999, neuverlegt vom Verlag „Ciela“ 2012. Hristov ist der einzige Forscher, der direkten Zugriff zu den 48 Bänden des Prozesses im Jahre 1998 beantragt und bekommen hat.