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Das Lager „Slantshev bryag“ [Sonnenstrand] bei Lovetsh

An der jährlichen Gedenkfeier im Steinbruch des Lagers „Slantshev bryag“  beteiligen sich auch orthodoxe Priester der Mitropolie Lovetsh sowie der Mitropolit Gavrail selbst | Foto: Hristo Histov.

Im August 1959 hatte das Politbüro des ZK der BKP den Beschluss zur Errichtung des Lagers Belene auf der Insel Persin gefasst; gleich danach gründete das Innenministerium/die Staatssicherheit in Einvernehmen mit der kommunistischen Leitung auf höchster Ebene ein neues Arbeitslager bei Lovetsh, das unter dem Namen „Slantshev bryag“ [Sonnenstrand]  (1959-1962) bekannt wurde. Der Name nimmt Bezug  auf den gleichnamigen Badeort am Schwarzen Meer und wurde von den kommunistischen Machthabern als Drohung und Warnung für diejenigen verwendet, die den Mut hatten sich zu widersetzen.

Als 1959 im Politbüro die Schließung von Belene besprochen wurde, erklärte der damalige Innenminister, General Georgi Tsankov, dass im Lager noch 166 Personen inhaftiert sind, die von den Behörden als „unverbesserliche Rezidivisten“ eingeschätzt werden und die das Innenministerium nicht freilassen, sondern in einen Steinbruch bei Lovetsh versetzen will, um sie „durch schwere körperliche Arbeit  umzuerziehen“. Eine schriftliche Verfügung zur Errichtung des Lagers bei Lovetsh wurde zwar nicht erlassen, doch das Politbüro erhob auch keinen Einspruch gegen den Vorschlag von Minister Tsankov.

So wurde Anfang September 1959 die erste Gruppe der in Belene überlebten Lagerhäftlinge nach Lovetsh versetzt. Dort wurden sie in Baracken der Jugendbrigaden untergebracht, die die Eisenbahnlinie Lovetsh -  Trojan gebaut hatten. Das Lager befand sich rechts an der Landstraße nach Troyan, an der Abzweigung zum Dorf Hlevene.  Der erste Vorsteher der Arbeitsgruppe Lovetsh war für kurze Zeit Oberst  Ivan Tritshkov, der Kommandant des Lagers Belene. Als Lagervorsteher wurde kurz danach Petar Gogov angestellt, der stellvertretende Kommandant von Belene.

Der ehemalige Lagerhäftling Todor Minkov aus Sofia, der 1957 bei den Maßnahmen der Machthaber gegen die „Hooligans“ verhaftet und ohne gerichtliche Verurteilung nach Belene deportiert wurde, war einer der ersten, die nach Lovetsh versetzt wurden. Als Datum der Überführung ins neue Lager nennt er den 10. September 1959:



„Wir wurden in eine längliche mit zweistöckigen Pritschen ausgestattete Baracke getrieben. Gleich am ersten Abend wurden wir von Milizionären verprügelt. Am nächsten Tag wurden wir zum künftigen Steinbruch gebracht, wo wir die abgebrochenen Steine im Laufschritt 150 – 160 Meter weit tragen und sie zu Haufen stapeln mussten. Beim Tragen liefen wir durch ein Spalier von Milizionären, die von beiden Seiten auf uns mit Stöcken schlugen.“

Aus den 166 Häftlingen am Anfang wurden  die nach Lovetsh Eingewiesenen  in einigen Monaten mehr als ein Tausend. Bei der Ankunft neuer Häftlinge wurde unter dem Kommando der Lagerleitung ein besonderes „Ritual“ abgehalten – die alten Lagerhäftlinge mussten ein Spalier bilden und auf die Neuen mit Stöcken zuschlagen. Wer dies nicht tat, bekam selber Stockhiebe.

Der Tag begann für die Lagerhäftlinge gegen 4 oder 5 Uhr unabhängig von der Jahreszeit. „Egal ob Sommer oder Winter, wir wurden zum Steinbruch getrieben, wo  wir bis spät in der Nacht arbeiten mussten, da viele von uns die Arbeitsnorm nicht erfüllen konnten“, erinnert sich der Lagerhäftling Todor Minkov. Eine Stunde Pause war nur zu Mittagszeit erlaubt. Die Beladung der Zugkomposition hatte innerhalb von 5 bis 10 Minuten zu erfolgen. Die Tagesnorm für die Männer betrug 8 bis 20 Kubikmeter Steine. Alles musste im Laufschritt gemacht werden.

Das Essen war gewöhnlich ohne Fleisch, vor allem Gemüse – Rüben, Kohl, Spinat, Bohnensuppe, zum Frühstück kalter Tee und etwas Marmelade. Die tägliche Ration Brot betrug ca. 700 Gramm, wurde einmal am Tag, gewöhnlich abends, verteilt und musste sofort verzehrt werden. Gebadet wurde einmal in der Woche im vorbeifließenden Fluss Osam. Die Häftlinge trugen alte Soldatenkleidung, waren verlaust, in den Baracken konnte man kaum schlafen wegen Wanzen und anderer Parasiten. Fast das ganze Jahr gab es kaum medizinische Betreuung. Das Frauenlager wurde 1961 zum Steinbruch beim Dorf Skravena, Kreis Botevgrad, verlegt.

Der ehemalige Lagerhäftling Neno Hristov aus dem Dorf Izvororvo bei Stara Zagora bezeugt: „Nie im Leben hatte ich Eiterwunden am menschlichen Körper gesehen, wo es von Würmern wimmelte. Das einzige, was man in diesen Fällen tun konnte, war jemanden zu bitten, auf  die Wunden am Rücken zu urinieren, damit sie heilen können, andere Mittel gab es nicht…“

Schriftliche Verordnungen zum Lagerregime gab es nicht. Die Lagerleitung handelte nach den mündlichen Hinweisen des stellvertretenden Innenministers, General Mirtsho Spasov, der für das Errichten und Funktionieren des Konzentrationslagers zuständig war; er war einer der nächsten Staatssicherheitsmitarbeiter des ersten Sekretärs der BKP, Todor Zhivkov. Der Lagervorsteher Petar Gogov  gestand 1990: „Normative Dokumente gab es nicht. Alles wurde nach den mündlichen Verordnungen von Mirtsho Spasov durchgeführt.“

Bis zum Ende seines Bestehens im April 1962 kamen ins Lager über 1500 Menschen, nach der politischen Wende hat die Militäranwaltschaft festgestellt, dass 151 Lagerhäftlinge dort ihren Tod gefunden haben. Die Leichen der Opfer wurden ihren Angehörigen nicht gegeben; auf Grund geheimer Verordnungen wurden sie nach Belene transportiert, wo ein Häftling aus dem Gefängnis, das jetzt an Stelle des ehemaligen Lagers errichtet worden war, die sterblichen Überreste auf eine der öden Inseln unweit der großen Insel Persin beerdigen musste.

Aus den erhaltenen Archiven geht hervor, dass ins Lager „Slantshev bryag“ ehemalige Abgeordnete des Bauernbundes, Kaufleute, Rechtsanwälte, Musikanten und Schauspieler eingewiesen wurden sowie einfache Bauern, die sich geweigert hatten, in die LPGs einzutreten.

Das Lager hätte noch länger existiert, wenn nicht mehrere Häftlinge die Flucht gewagt hätten und beim Versuch, das Land illegal zu verlassen, erwischt worden wären. Bei der Vernehmung bezeugten sie vor den Untersuchungsorganen, dass sie vor den Morden  im Lager bei Lovetsh geflohen waren. Der Fall wurde nach oben gemeldet und kam ins Politbüro.

Eine Sonderkommission unter der Leitung des Politbüromitglieds Boris Veltshev bestätigte das unmenschliche Regime im Lager, wo Häftlinge täglich auch verprügelt und getötet wurden.

Bei einer geheimen Sitzung des Politbüros im April 1962 verordnete Todor Zhivkov, „das Lager ohne viel Aufsehens zu schließen“. Die Leitung der „Arbeitsgruppe“ bekam parteilichen Tadel, und der Hauptvorsteher Mirtsho Spasov wurde von Todor Zhivkov kritisiert, zu viel des Guten getan zu haben, gleichzeitig wurde er jedoch als einen parteitreuen, „goldenen“ Genossen eingeschätzt; außer den parteilichen Tadel bekam er keine andere Strafe, bekam sogar eine höhere Stellung in der Partei und wurde Leiter der Abteilung  „Kader im  Ausland“ im ZK der BKP.

1990 wurde von der Militäranwaltschaft eine unabhängige medizinische Kommission berufen, die erschütternde Tatsachen über die Situation im  Lager  „Slantshev bryag“ feststellte:

„Die Lagerhäftlinge durften nicht miteinander reden, Kontakt zur Außenwelt haben, Ansprüche erheben und Beschwerden einlegen, die Würde und das Selbstbewusstsein menschlicher Wesen wahren. Bei der Aufnahme ins Lager sowie während des ganzen Aufenthaltes sind die meisten von ihnen grausam und meistens grundlos geschlagen worden mit Stöcken und Gummischläuchen… Die Lebensbedingungen trugen gewisse Zeichen von unbegründetem Sadismus.“

Nach 1990 wurden die Verbrechen im Lager bei Lovetsh allgemein bekannt und die Militäranwaltschaft ordnete eine gerichtliche Untersuchung diesbezüglich an (mehr dazu vgl. im Abschnitt Strafverfolgung dieser Webseite).

Im März 1990, kurz vor der Umbenennung der Bulgarischen Kommunistischen Partei in Bulgarische Sozialistische Partei, besuchte Petar Mladenov, der Vorsitzende des Staatsrates und Generalsekretär der BKP, den Steinbruch des Lagers bei Lovetsh, um dort eine Gedenktafel für die Opfer einzuweihen. Dort empfingen ihn jedoch Anhänger der Opposition und Bürger von Lovetsh  mit einem Plakat „Die Mörder kommen an den Tatort zurück“; sie protestierten gegen die Ausnutzung der Opfer des kommunistischen Regimes durch seine Vertreter, die mit einzelnen Gesten nach der Wende vor der Gesellschaft sich „demokratisch“ darstellen wollen.

Am 23. März 1990 initiierte die lokale Organisation der Union der Demokratischen Kräfte (UDK) die erste Gedenkfeier am Steinbruch des ehemaligen Lagers. Seitdem beteiligt sich jedes Jahr im März die demokratische Öffentlichkeit von Lovetsh und Umgebung am traditionell gewordenen Trauerzug vom Stadtzentrum bis zum Steinbruch, wo Priester der Mitropolie Lovetsh und der Mitropolit Gavrail eine Seelenmesse zum Gedenken an die Opfer zelebrieren.

Der Bund der Repressierten ließ an den Felsen über dem Steinbruch zwei Gedenktafeln für die Lageropfer anbringen, auf dem höchsten Felsen steht ein Kreuz. Am Felsenfuß, unweit der Landstraße Lovetsh – Troyan, steht eine Gedenktafel für die Lageropfer im Namen der Metropolie Lovetsh.