Der Tschernobyl-Prozess

Angeklagt wurden in diesem Verfahren Grigor Stoitshkov, stellevertretender Ministerpräsident (1977-1989) und Ljubomir Shindarov, Obersanitätsinspektor zur Zeit des Unfalls und Vizegesundheitsminister. Die Anklage lautete, dass sie die normativen Dokumente und die Sanitätsregeln für Radiationsschutz nicht beachtet und keine ausreichend effektive Maßnahmen getroffen hatten für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung Bulgariens. Der Gerichtsprozess begann im April 1991. Sie wurden schuldig gesprochen und verurteilt – Grigor Stoitshkov zu 3 Jahren und Shindarov zu 2 Jahren Haft. Beide reichten im Oktober 1992 Beschwerde gegen das Urteil ein und der Prozess kam in die zweite Instanz. Im September 1993 veränderte der Oberste Gerichtshof das ursprüngliche Urteil und reduzierte es auf 2 Jahre. Nach einer erneuten Beschwerde im Juli 1994 bestätigte das Gericht die zwei Jahre Haft für Stoitshkov und veränderte die Freiheitsstrafe von Ljubomir Shindarov auf zwei Jahre Bewährungsstrafe bei vier Monaten Probezeit.
Der Ex-Vizepremier Grigor Stoitshkov leistete seine Freihetsstrafe zunähst im Sofioter Zentralgefängnis, dann im Gefängnis Kazitshene bei Sofia ab. Im Mai 1995 wurde er nach einem Schlaganfall in ein Krankenhaus überführt, wurde dann im Mai 1995 vorfristig entlassen, kurz bevor seine zweijährige Freiheitsstrafe abgelaufen war.
Die Verurteilung im Tschernobyl-Prozess führte zu einer der wenigen Freiheitsstrafen in Bulgarien, die nach dem 10. November 1989 gegen die Verbrechen des Kommunismus verhängt wurden.
Die Verheimlichung der Nuklearkatastrophe durch die kommunistische Obrigkeit hatte für die bulgarische Bevölkerung enorme Folgen. Jährlich werden in Bulgarien hunderte Krebserkrankungen festgestellt, die in den meisten Fällen durch die Tshernobyl-Katastrophe verursacht sind. Der Kernzerfall wird nach der Katastrophe mit jedem Jahr größer und die negativen Einwirkungen auf die Gesundheit der Menschen werden immer ernsthafter. NachMeinung des bekannten Onkologen Prof. Ivan Tshernozemski werden in der Zeit 2014 – 2040 über eine Million Bulgaren an Krebs erkranken, da der Zerfall einiger radioaktiver Elemente erst jetzt beginnt.
Die schwarze Statistik zeigt, dass ca. 35 000 Bulgaren jährlich an Krebs erkranken. Ein Viertel Jahrhundert nach dem Fall des Kommunismus kämpfen etwa 250 000 Menschenmit dem Krebs. Die Anzahl der Todesfälle ist bis auf 17 000 jährlich angestiegen. In den 1990er Jahre waren sie zweimal weniger.
Auch die Anzahl der Bulgaren, die Reproduktionsprobleme haben, ist gestiegen. Das ist vor allem die Generation derjenigen, die unmittelbar vor oder nach der Tshernobyl-Katastrophe geboren wurden. Heute kommt es immer häufiger vor, dass Jugendliche im Alter 13-15 Jahre mit Geschwülsten an der Schilddrüse operiert werden oder an Hypophysen-Störungen leiden.
Neben dem Tschernobyl-Prozess wurde 1990 von der Staatsanwaltschft ein zweites Verfahren 3/1990 eingeleitet, das unter dem Namen „Prozess über die Umweltkatastrophe“ bekannt wurde. Ermittelt wurde gegen 37 Unternehmen in verschiedenen Wirtschaftsbereichen, die zur Umweltverschmutzung beigetragen hatten. Es wurden 120 Bände Ermittlungsmaterialien gesammelt, doch es wurden keine Anklagen gegenkonkrete Personen erhoben.